Der Wolf – Der Mensch – Die Kunst

Juni 2002

Sigmar Gassert

Die Wiederkehr des Wolfes nach Mitteleuropa erregt die Gemüter. Aus Italien ist er in die Schweizer Berge eingewandert. Aus Osteuropa hat er sich in deutschen Landen ansässig gemacht. Übrigens auf jahrhundertealten Routen, wie die Tierkundler wissen.

Johannes Beyerle hat sich in den stimmigen Fotoserien unten im Parterre jenes Wolfes angenommen, der über die Oder schwamm, um wieder am neualten Ort heimisch zu werden. Poitierterweise ein Truppenübungsplatz mit einer Lagerstruktur, die wir auch aus Gefangenencamps und Kz´s kennen.

Die authentischen Fotografien dieses Wolfes sind in serieller Anordnung und in Schwarz-Weiss zu sehen. Serien deshalb, weil so am trefflichsten die Bewegung des Tieres, seine Verhaltenstypik und seine phänomenale Erscheinung zur Geltung kommen. Schon in diesen Fotografien wird der Verdacht genährt, der Wolf sei nicht irgendein Tier, sondern und gerade heute komme ihm eine besondere Bedeutung zu. Sein Schicksal hat mit dem unseren zu tun. Wie wir den Wolf behandeln, so behandeln wir oft die Tiere gemeinhin, die Natur – und also auch uns selbst.

Herausfordernderweise hat Johannes Beyerle diesen zwei Fotoserien mächtige, schwere, aber dennoch fragile Hybridfiguren zugestellt. Hohe Stahlstelen tragen Köpfe aus Lehmmélange und Stroh und Eisendrahht. Diese Schädel wirken wie über die Zeiten hinweg und geben eine gleichermaßen tierische wie menschliche Gestalt zu erkennen. Diese Hybriden verkörpern das Gemeinsame und Trennende von Tier und Mensch. Sie fordern die Nähe im Ursprung ein und verweisen auf die Evolution. Eine Verwandlung, die nie das Gemeinsame in der Einheit der Natur verleugnet.

In drei Stahlblechboxen von fast sakraler Anmutung hat der Künstler oben an der Treppe im ersten Stock in Sandkästen diesen Wandlungsprozess anhand von Schädelformen künstlerisch-wissenschaftlich wohlbedacht angerichtet. Eine Erinnerung der Evolution in die Gegenwart transformiert. Auch hier wird, wie prinzipiell in allen seinen Arbeiten, diese Annäherung von Mensch und Tier am verlustig gegangenen Verhältnis zum Wolf beklagt.

Um den oft als blindwütiges Raubtier denunzierten Wolf geht es auch zentral in den Zeichnungen, oft mit epischen Anspruch und Format. Nur der Bleistift auf Sperrholz oder getöntem Papier ist stark genug, in diesem Medium das Verhältnis Mensch-Tier am historischen Fall Wolfsschicksal und zeitgenössischer Kunst heraufzubeschwören. In dem Maße, wie das Figürliche in den Verdichtungen zurückgenommen und sich nur noch da und dort als Körperfragment ausmachen lässt, wird eine geistige Präsenz geschaffen, die als Metapher umso wirksamer ist. Diese Ortsverdichtung gibt den Blättern eine magische Ansprechung, von der man angezogen wird in eine Sphäre, die letzendlich über den Dingen steht, da, wo die Kunst zu sich findet.

Gänzlich vollbracht ist die Strategie der Anwesenheit des Abwesenden, eben des Wolfes, in dem Videofilm im Keller. Wie wenn es so sein müsste, wird der Videofilm direkt ans Gewölbegemäuer projiziert. Schwarz-weisse Szenen, anfangs wie ein Spaziergang durch die Wälder um Kandern, auch zu Winterzeiten. Schnee, wie Negativbilder, ist dann die Szenerie. Die Orte sind Fallenstellen und Fallgruben, mit denen man seinerzeit Wölfe habhaft werden wollte. Die Bilderfolgen, tonlos und wortlos, machen gleich einmal den Waldgänger zu einem, der seinen Weg geht zu den Fallen und Gruben, und auch in sie hinein. Überblendungen verdichten, prinzipiell ähnlich wie bei den Zeichnungen, das Geschehen und geben diesen Bewegungsabläufen eine existetielle Dimension. Wie unbemerkt ist der Betrachter bei den Wölfen und bei sich – obwohl beide nicht im Bild sind. Im Bilde sind sie aber doch als geistig evoziertes Phänomen. Und so kommen Wolf und Mensch und Kunst zusammen.

Noch eine Bemerkung zur künstlerisch-kulturgeschichtlichen Strategie von Johannes Beyerle. Verbunden werden Örtlichkeiten und Geschehnisse von hier, eben die inzwischen stillen und verwucherten Wolfsgruben, dann die zahlreichen Legenden um den Wolf mit zumeist negativen Besetzungen und das aktuelle Wiederauftauchen des Tieres in seinen angestammten Regionen. Nur selten, so der Blick in die Kunstgeschichte, ist eine solche Dreiheit als Vielheit udn Einheit gestaltet worden.

Rede anlässlich der Ausstellungseröffnung “ZeichenWege” 14. Juni 2002